Warum wir den Zahlen nicht trauen sollten

Bleibt es eigentlich bei den von der Stadtverwaltung angegebenen 13.5 Mio. Euro, oder müssen wir mit Kostensteigerungen rechnen?

Die Stadtverwaltung geht für die Ausbaumaßnahme Südallee von einem Gesamtumfang in Höhe von etwa 13,5 Mio. Euro aus. Die Beschlussvorlage im Koblenzer Stadtrat vom 21. Juli 2023 führt dazu aus:

Die Gesamtsumme Bau einschließlich aller Baunebenkosten beträgt aktuell 13.586.447,17 €. Genauer absehbar sind die Kosten erst nach dem Ergebnis der europaweiten Ausschreibung der Maßnahme.

(BV/0329/2023, beschlossen am 21. Juli 2023)

Nachvollziehbar, dass die Gesamtsumme noch nicht genau absehbar ist. Dies ist nicht die erste Straßenausbaumaßnahme der Stadt, Erfahrungswerte werden wohl in diese Schätzung eingeflossen sein. Dennoch bleibt es eine Schätzung, denn erst der Wettbewerb im Rahmen einer Ausschreibung wird Gewissheit darüber schaffen, was die Bieter heute für die Maßnahme tatsächlich verlangen.

In der Schätzung stecke eine Kostensteigerungsrate, so ist der Beschlussvorlage BV/0871/2019 zu entnehmen. Dort steht:

Die Bauabschnitte 1 und 2 wurden mit dem aktuell hohen Preisniveau gerechnet. Für die Bauabschnitte 3 und 4 wurde jeweils sowohl in den Bau- als auch in den Baunebenkosten, eine Preissteigerungsrate von 5 % pro Jahr hinzugerechnet. Dies schlägt sich auch in den Gesamtsummen nieder.

(BV/0871/2019, beschlossen am 13. Dezember 2019)

Oder anders ausgedrückt: Die Bauabschnitte 1 und 2 wurden gar nicht mit Preissteigerungen gerechnet, die Bauabschnitte 3 und 4 mit 5% p.a.

Fünf Prozent?!

Wir wissen nicht, was die oben zititierte Beschlussvorlage BV/0329/2023 unter einem „konkretisierten Entwurf mit detaillierter Kostenberechnung“ versteht. Aber wir nehmen an, dass eine detaillierte Kostenberechnung nicht von mehreren Jahren Stillstand in der Kostenentwicklung ausgehen sollte. Doch genau das scheint geschehen zu sein.

Schauen wir uns einmal an, was das Statistische Bundesamt über die Preisentwicklung im Straßenbau zu sagen hat:

Auszug aus den Daten des Statistischen Bundesamtes zur Preisentwicklung im Straßenbau

Im Bild seht ihr die Entwicklung der Kosten einiger Bautätigkeiten im Straßenbau verglichen mit dem Jahr 2015 (gemessen jeweils im November eines Jahres). Das liest sich so: Im November 2022 haben sich die Kosten im Straßenbau gegenüber November 2015 um knapp 54% erhöht. Für unsere Betrachtung aber wichtiger:

Im Jahr 2022 haben sich die Kosten im Straßenbau gegenüber 2019 – dem Jahr, in dem die Stadtverwaltung ihre Kalkulation vorgelegt hat – nicht um die von der Stadtverwaltung angenommenen 5% p.a., sondern faktisch um rund 34% erhöht.

In nur drei Jahren 34% – und die Baumaßnahme hat noch nicht einmal begonnen. Warum aber bleibt die Stadt auch im Jahre 2023 bei den 2019 festgezurrten Summen in Höhe von 13.5 Mio Euro, wenn sie ausweislich des Haushaltsplans 2021 mit dem ersten Bauabschnitt Anfang 2021 beginnen wollte – und damit also faktisch ein Projektverzug von drei Jahren vorliegt?

Der erste Bauabschnitt beinhaltet den Bereich zwischen Friedrich-Ebert-Ring und Roonstraße. Die förderrechtliche Abstimmung der Entwurfsplanung erfolgt in 2020. Die Ausführungsplanung soll im Anschluss vergeben werden. Der Baubeginn ist für Anfang 2021 vorgesehen.

(Haushaltsplan 2021, Seite 620)

Das wissen wir natürlich auch nicht. Aber dass es bei rund 13.5 Mio. Euro bleiben wird, ist wohl nicht zu erwarten.

Wohin geht die Reise?

Dazu drei Fallbetrachtungen, bei denen wir folgende Annahmen treffen:

  • Alle vier Bauabschnitte werden einer Preissteigerung ausgesetzt, nicht nur BA.3 und BA.4.
  • Auch wenn wir in den Unterlagen keine Bestätigung fanden: Wir nehmen an, dass die Planer die Preissteigerung entsprechend ihrer zeitlichen Verteilung über vier Jahre in der Umsetzung mehrfach eingerechnet haben (Beispiel: BA.1 kommt in 2021 und erfährt so eine einfache Anrechnung der Preissteigerung, BA.2 kommt im zweiten Baujahr und erfährt so eine zweifache Anrechnung der Preissteigerung, etc.

Fall 1: Das städtische Modell

Wir setzen den Baubeginn wie von der Stadt ursprünglich geplant auf das Jahr 2021 und die Teuerung auf 5% p.a. Dann rechnet sich das Ganze wie folgt:

BA.1BA.2BA.3BA.4
20213.320.459
20223.907.526
20232.717.922
20243.640.540

In Summe ergibt das 13.5 Mio. Euro, wie von der Stadt zugrunde gelegt.

Fall 2: Das fortgeschriebene städtische Modell

Hier setzen wir den Baubeginn auf das Jahr 2024, wie nunmehr auch von der Stadtverwaltung vorgesehen. Ebenso bleiben wir bei einer Teuerungsrate von 5% p.a. – berücksichtigen aber auch die mittlerweile verstrichenen drei Jahre. Das ergibt dann:

BA.1BA.2BA.3BA.4
20243.843.847
20254.523.450
20263.146.334
20274.214.380

In Summe ergibt das roundabout 15.7 Mio. Euro, d.h. die Maßnahme wird um etwas mehr als 2 Mio. Euro teurer, allein aufgrund des späteren Baubeginns. Beide Fälle sind aber eher theoretisch. Jetzt zum Praxistest:

Fall 3: Das Realitätsakzeptanzmodell

Den Baubeginn setzen wir auf das Jahr 2024 und legen die vom Statistischen Bundesamt ermittelte Preissteigerung von etwa 34% des Jahres 2022 gegenüber 2019 zugrunde. Zudem nehmen wir an, dass es anschließend ab 2023 bis 2027 Preissteigerungen in Höhe von etwa 15% p.a. geben wird. Das ergibt dann:

BA.1BA.2BA.3BA.4
20244.860.986
20256.249.561
20264.749.043
20276.949.545

In Summe ergibt das fast 23 Mio. Euro, satte 10 Mio. Euro mehr, als geplant.

Man kann einwerfen, dass die von uns angesetzten 15% p.a ab 2023 aus der Luft gegriffen seien. Vielleicht sind sie das: Die faktische Steigerung von rund 24% allein innerhalb des Jahres 2022 ist vielleicht ebenso eine Ausnahmeerscheinung, wie die ebenso bereits eingetretene Steigerung von 8% in den ersten fünf Monaten des Jahres 2023.

Vielleicht aber sind das keine Ausnahmen. Vielleicht ist es das new normal der nächsten Jahre. Wir haben für Fall 3 deshalb aus unserer Sicht moderate 15% p.a. angesetzt. Ob das zutreffend ist, werden wir erst in der Rückschau bewerten können.

Weil die Abrechnung in drei Abschnitte, die Baumaßnahme aber in vier Abschnitte gerechnet werden, ist es für uns schwierig, den im Beitrag Wie die Stadt Koblenz den Einmalbeitrag ermittelt angebotenen Beitragsrechner auf die von uns geschätzte Kostensteigerung anzupassen. Aber ihr erhaltet einen ungefähren Eindruck davon, was unserer Meinung nach auf euch zukommt, indem ihr den mithilfe des Beitragsrechners ermittelten individuellen Betrag mit 1.67 multipliziert.

Disclaimer

Basis der hier diskutierten Fälle sind die uns zugänglichen Informationen aus dem Bürgerinformationssystem der Stadtverwaltung, des Statistischen Bundesamtes und der Gespräche, die wir mit Vertretern der Stadtverwaltung geführt haben. Vielleicht ist uns dabei der eine oder andere Irrtum unterlaufen.

Und dennoch: Ein Bauvorhaben im Jahre 2019 kalkulatorisch zu fixieren und dann zu hoffen, dass eine Projektverschiebung um drei Jahre trotz medial begleiteter Baukostenexplosion keine Änderungen an der Finanzlinie erforderlich macht, ist … illusorisch.

Wie die Stadt damit umgeht oder umgehen darf, wenn sich Kosten explosiver entwickeln, als kalkulatorisch berücksichtigt – sei es wegen der hier diskutierten Preissteigerungen, sei es wegen unvorhergesehener Kostentreiber oder wegen irgendwelcher Bankrotteure – ist uns völlig unklar. Eins aber ist uns bereits im Gespräch mit der Stadtverwaltung klargemacht worden: Überrage ein Angebot das vorgesehene Budget der Stadt um 20% oder sogar mehr, so sei dies kein Ablehnungsgrund.

Womöglich traut auch die Stadt den Zahlen nicht…

Wenn ihr Fragen habt oder Anmerkungen, dann schreibt sie gerne in die Kommentare! Und eine Bitte: Gebt den Link auf die Webseite weiter, wir haben noch längst nicht alle betroffenen Eigentümer erreicht.

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